4 Methoden, um Konsens im Team zu erreichen

Scrum Master, Agile Coaches, Product Owner und andere Rollen müssen Teams häufig dabei helfen, Konsens zu finden. Beispielsweise kann ein Product Owner einer Gruppe von Stakeholdern dabei helfen, sich auf ein konkretes Ziel für die nächste Entwicklungsphase zu einigen. Oder ein Scrum Master führt eine Retrospektive durch und versucht dann, herauszufinden, auf welche Verbesserungsmaßnahmen sich das Team im Anschluss einigt.
In diesem Artikel stelle ich vier Methoden zum Erschaffen von Konsens vor. Sicherlich kennen Sie bereits die ein oder andere dieser Methoden, aber vielleicht nicht alle. Nach der Erläuterung für jede der vier Methoden gebe ich Ihnen Hinweise, wann sie die jeweilige Methode am sinnvollsten nutzen können.

Konsens-Methode 1: Dot Voting
Dot Voting, also die Bewertung durch Punkte, ist nützlich, wenn eine Gruppe aus mehreren Optionen einer längeren Liste einige Optionen auswählen muss. Ich habe Dot Voting als Scrum Master beispielsweise in folgenden Situationen genutzt:
- Im Team, wenn nach einer Retrospektive Verbesserungsmaßnahmen für den nächsten Sprint ausgewählt werden sollen.
- Mit meiner Familie, wenn es darum geht, was im nächsten Urlaub an Aktivitäten geplant werden soll.
- Im Führungsteam, um festzulegen, was im nächsten Quartal die Prioritäten der Organisation sein werden.
Dot Voting in der Praxis
Beim Dot Voting hat jede Person eine gewisse Anzahl an Punkten zur Verfügung. Normalerweise bekommt jeder mehr als nur eine Stimme, aber immer weniger als die zur Wahl stehenden Optionen. Dot Voting funktioniert auch mit nur einer Stimme pro Person, aber dann ist es nichts anderes als für seine bevorzugte Option die Hand zu heben.
Alle Personen bekommen in der Regel die gleiche Anzahl an Punkten. Das ist am gerechtesten. Natürlich können Sie auch bestimmten Personen mehr Punkte zur Verfügung stellen, aber das habe ich bisher noch nie getan, da das für die Anderen oft nicht fair erscheint.
Nachdem eine Liste mit möglichen Optionen erstellt wurde (normalerweise durch Brainstorming), kann jeder seine Punkte auf die Option setzen bzw. auf die Optionen verteilen, die er/sie bevorzugt. Das kann durch Aufmalen mit Stiften oder Aufkleben kleiner Klebepunkte geschehen.
In den meisten Fällen sollte man es den Leuten erlauben, der Option, die man stark bevorzugt, mehrere Punkte zuzuweisen. Beispielsweise wollte ich in unserem Familienurlaub wirklich gerne einen Tag auf einem Segelboot verbringen. Also gab ich alle meine fünf Stimmen dafür ab. Meine Frau gab dieser Option einen Punkt und verteilte die restlichen vier Punkte auf zwei andere Optionen.
Erst mal schauen, wofür die Anderen abstimmen
Beim Dot Voting kann es passieren, dass einige Leute erst ein wenig zögern, um zu sehen, wie die Anderen abstimmen. Vielleicht wollte meine Frau genauso gerne segeln gehen wie ich. Nachdem sie jedoch gesehen hatte, dass ich meine fünf Punkte nur für diese Möglichkeit einsetzte, fühlte sie sich sicher, dass wir auf jeden Fall segeln gehen würden, auch wenn sie nur einen ihrer Punkte dafür aufwendete.
Grundsätzlich sollten Sie sich darüber keine zu großen Gedanken machen. Auf jede Person, die erst einmal abwartet, wie die Anderen abstimmen, kommen Andere, die direkt ihre Stimmen verteilen in der Hoffnung, den Rest dadurch beeinflussen zu können.
Sollten Sie doch Bedenken haben, können Sie die einzelnen Personen auch erst einmal auf einem Zettel für sich selbst die Punkte verteilen lassen, um die Punkte dann danach zusammenzutragen.
Den Gewinner wählen
Da Dot Voting häufig genutzt wird, wenn eine Gruppe aus mehreren Optionen auswählen möchte, heißt das Erreichen von Konsens in diesem Fall, eine Reihe von bevorzugten Optionen zu identifizieren. Dafür gibt es keine standardisierte Vorgehensweise.
Bevor abgestimmt wird, können Sie z.B. sagen: „Wir werden die drei Optionen (oder wieviele auch immer) mit den meisten Stimmen nehmen.” Das funktioniert gut, wenn man vorab weiß, wie viele Optionen man auswählen kann. Oft ist es jedoch besser, nach der Stimmvergabe zu überlegen, wie viele Optionen tatsächlich ausgewählt werden, da es häufig große Unterschiede bei dem Punktestand der beliebtesten und am wenigsten beliebten Optionen kommt.
Wann sollte man Dot Voting nutzen?
Dot Voting ist eine hervorragende Methode, wenn mehrere Vorgehensweisen zur Option stehen. Außerdem ist Dot Voting gut geeignet, um den allgemeinen Grad an Konsens zu bestimmen. Wenn beispielsweise zwei Optionen jeweils drei Stimmen bekommen und acht andere Optionen jeweils einen Punkt haben, zeigt das, dass sich die einzelnen Personen noch nicht wirklich einig sind. Das kann bedeuten, dass noch mehr Diskussionen nötig sind – entweder konkret in diesem Meeting oder grundsätzlich.
Konsens-Methode 2: Daumen hoch, Daumen runter
Diese Methode stammt von einem römischen Kaiser, der seinen Daumen hoch oder runter hielt, um zu demonstrieren, ob ein Gladiator weiterleben oder sterben sollte.
Diese Art der Abstimmung wird in Teams oder anderen Gruppen agiler Organisationen verwendet, wenn eine einfache Ja/Nein-Entscheidung getroffen werden muss. Nachdem die Vorzüge der zur Auswahl stehenden Entscheidung besprochen wurden, stimmen alle Teilnehmer darüber ab. Daumen hoch bedeutet eine Stimme für diese Entscheidung. Daumen runter ist eine Stimme gegen die Entscheidung.
Wenn ein Team beispielsweise gemeinsam zum Mittagessen gehen möchte, sagt vielleicht jemand: „Lasst uns doch zu dem Burger-Laden nebenan gehen.” Dann wird abgestimmt; drei Daumen hoch, zwei runter und ein Daumen zeigt zur Seite.
Vorsicht beim Daumen zur Seite
Sie sollten vorsichtig sein, wenn Sie mit dem Daumen zur Seite zeigen. Es kann verschiedene Bedeutungen haben.
In dem Beispiel mit dem Burger-Laden bedeutet es vermutlich, dass es der Person egal ist, wo das Team zu Mittag ißt: „Wir können da essen gehen oder woanders, das ist mir relativ egal!”
In diesem Beispiel macht das keinen großen Unterschied. Das ist aber nicht überall der Fall.
Nehmen wir an, ein Team möchte darüber abstimmen, ob ein neues Teammitglied eingestellt werden soll, das gerade vom gesamten Team interviewt wurde, und ein Teammitglied hält den Daumen seitwärts.
Was bedeutet das? Man kann die Person ja nicht zur Hälfte einstellen. Eine solche Entscheidung ist binär. Entweder bekommt die Person den Job oder nicht.
Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil es mir schon häufiger passiert ist, dass ein Teammitglied in so einer Situation gesagt hat: „Der Kandidat ist ganz gut, aber vielleicht finden wir noch einen besseren.”
Natürlich könnten wir einen besseren finden. Unser Ziel war nie, den besten Kandidaten der Welt für den Job zu finden. Wir wollten nur jemanden, der den Job gut erledigen kann und außerdem gut ins Team passt. Was ich wirklich wissen muss, ist, ob dieser Kandidat diese Kriterien erfüllt oder nicht.
Wann sollte man die Daumen-Methode nutzen?
Mit Daumen hoch oder Daumen runter kann man am besten abstimmen, wenn es um eine bestimmte Option geht. Also sollten wir diese Architektur bzw. Technologie verwenden? Sollten wir die Person einstellen? Sollten wir zu dreiwöchigen Sprints wechseln?
Konsens-Methode 3: Fists of Five
Von dieser 5-Finger-Methode erfuhr ich erstmals von Jean Tabaka, Autorin von Collaboration Explained. Dieser Ansatz ist hilfreich, wenn ein Moderator das Level an Konsens abfragen und bewerten können möchte. Z.B. könnte ich es ganz toll finden, Burger essen zu gehen, während ein anderes Teammitglied diese Idee ganz schrecklich findet. Mit fünf Fingern kann man differenzierter Abstimmen als nur mit Daumen hoch oder runter.
Was die Anzahl an Fingern bedeutet
Bei einer solchen Abstimmung hält jedes Teammitglied je nach Zustimmung mehr oder weniger Finger hoch. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, aber hier ist mein Favorit:
5 Finger: Großartige Idee. Warum ist mir das nicht eingefallen?!
4 Finger: Das ist eine gute Idee und stehe voll und ganz dahinter.
3 Finger: Ich bin neutral. Die Idee ist okay. Vielleicht gibt es noch eine bessere Idee, vielleicht aber auch nicht.
2 Finger: Mir gefällt die Idee nicht. Mir wäre eine Alternative lieber.
1 Finger: Diese Entscheidung gefährdet das Projekt. Wir müssen eine Alternative finden.
Erst festlegen, wie groß der Konsens sein muss
Bevor man auf diese Weise über etwas abstimmt, sollte das Team besprechen, wie stark der Konsens sein sollte. Eine Entscheidung zur Architektur sollte sicherlich größeren Konsens voraussetzen als die Wahl des Caterers für das Essen beim Planning Meeting.
Schauen wir uns dafür einige Beispiele an.
Ein Team kann unter Umständen sagen, dass jeder mindestens drei Finger hochhalten muss, damit eine Entscheidung einstimmig ist. Das ist eine sehr starke Form von Konsens, denn es bedeutet, dass niemand die Idee auch nur für ansatzweise schlecht halten darf. Ich sage nicht, dass man so niemals vorgehen darf, aber es ist definitiv ein starkes Level an Konsens dafür erforderlich, was bedeutet, dass es länger dauern kann, diesen Konsens zu erreichen.
Überlegen Sie stattdessen, ob es nicht besser ist, wenn ein Team sich auf eine Entscheidung einigt, die gut genug ist, weil mehr Leute mit vier oder fünf Fingern dafür gestimmt haben als mit nur einem oder zwei. Das ist ein viel moderateres Level an Konsens und somit leichter zu erreichen. Natürlich kann es durchaus sein, dass diese Entscheidung in Frage gestellt wird, sollte sie keine perfekten Ergebnisse hervorbringen.
Sie sollten vielleicht sogar in Erwägung ziehen, dass das Team beschließt, eine Entscheidung zu verfolgen, bei der lediglich niemand mit nur einem Finger abstimmt. Eine Entscheidung durch das Abstimmen mit einem Finger blockieren zu können, bedeutet im Grunde, jedem ein Veto-Recht einzuräumen.
Wie auch bei anderen genannten Beispielen kann es Situationen geben, in denen dies angemessen ist. Ein einfaches Veto-Recht kann etwa sinnvoll sein, wenn man das Restaurant für die Mittagspause aussuchen möchte. Vielleicht möchte jeder außer Mary zum Steakhaus gehen, aber Mary hält einen Finger hoch, weil sie Vegetarierin ist und es dort nur Fleischgerichte gibt.
Das bedeutet nicht, dass diese Entscheidung eine Bedrohung für das Projekt wäre. Aber dort essen zu gehen, wo ein Teammitglied einfach gar nichts essen könnte, wäre unhöflich und einfach eine schlechte Entscheidung.
Denken Sie immer daran, dass Sie unterschiedliche Level von Konsens für unterschiedliche Entscheidungen nehmen können. Bevor Sie jedoch über eine bestimmte Sache abstimmen, sollten Sie kurz darüber sprechen, wie relevant Konsens für die jeweilige Entscheidung ist.
Finger zeigen
Sobald sich alle auf ein Level an Konsens geeinigt haben, wird das jeweilige Thema besprochen und dann darüber abgestimmt. Normalerweise halten dann alle gleichzeitig einen bis fünf Finger hoch. (Wenn es nur ein Finger ist, achten Sie darauf, dass es nicht der falsche ist!)
Werten Sie das Ergebnis aus und wenn bereits Konsens herrscht, sind Sie auch schon fertig. Wenn nicht, sollten alle noch einmal über das Thema sprechen und erneut abstimmen. Die Teilnehmer können sich auch darauf einigen, ggf. das Konsenslevel etwas abzusenken.
Wann sollte man Fists of Five nutzen?
Die Fists-of-Five-Methode ist nicht nur gut geeignet, um Konsens zu schaffen, sondern auch, um über eine Entscheidung abzustimmen. Wie auch bei der römischen Methode sollte sie genutzt werden, wenn über eine einzelne Option abgestimmt werden soll statt über mehrere.
Konsens-Methode 4: 1-2-4-Alle
Bei dieser Methode geht es tatsächlich eher um das Schaffen von Konsens als darum, über etwas abzustimmen. Es ist sogar recht wahrscheinlich, dass man bei dieser Methode am Ende eine der drei ersten Methoden zur Abstimmung nutzt.
Der Name stammt von der Anzahl an Leuten, die an einer Reihe von Konversationen beteiligt sind. Man beginnt damit, dass jeder einige Minuten (2-5 sind meist ausreichend) hat, sich Gedanken zu machen und eine Entscheidung zu treffen.
Paare bilden
Es bilden sich Paare. Jeder teilt dem anderen seine Meinung mit und dann versuchen die Partner, sich zu einigen. Wie diese Paare gebildet werden, können Sie frei entscheiden.
Wenn es eine ungerade Zahl an Teilnehmern gibt, enthält sich der Moderator der Diskussion (vor allem, wenn es ein wirklich neutraler Moderator ist). Alternativ kann der Moderator auch mitmachen, aber er nimmt dann eher eine Zuhörer-Rolle ein und hilft der anderen Person, Argumente für ihren Standpunkt zu finden.
Die Paare haben normalerweise etwa 5-10 Minuten Zeit für ihre Diskussion. Auch wenn das je nach Wichtigkeit variieren kann, empfehle ich, sich nicht mehr als 15 Minuten dafür zu nehmen.
Nachdem die Zeit abgelaufen ist bzw. alle Paare sich geeinigt haben, bildet man Paare von Paaren. Dafür steht die „4” im Namen der Methode. An diesem Punkt kann es sein, dass die Gruppen unterschiedlich groß sind. Das ist in Ordnung, passen Sie die Gruppen einfach so an, wie Sie es für sinnvoll halten. Diese Gruppen haben nun 10-15 Minuten Zeit, sich zu einigen.
Nachdem die Zeit um ist bzw. alle Gruppen sich geeinigt haben, tun sich auch diese Gruppen wieder zusammen. Bei einem klassischen agilen Team ist das im Normalfall das ganze Team. Wenn nicht, erweitern Sie die Gruppengröße bis das gesamte Team in einer Gruppe ist.
Versuchen Sie dann, mit dem ganzen Team eine Entscheidung zu treffen. Das funktioniert nicht immer, aber die 1-2-4-Methode macht die Gruppendiskussion oft wesentlich einfacher. Für die endgültige Entscheidung können Sie Dot Voting, Fists of Five oder die Daumen-Methode anwenden.
Wann sollte man 1-2-4-Alle nutzen?
Diese Methode nutzt man am besten bei wichtigen Entscheidungen und wenn die Teammitglieder nicht annähernd die gleiche Meinung haben. Durch die immer größer werdenden Diskussionsgruppen ist sichergestellt, dass die Meinung eines jeden gehört wird, man hat anfangs aber auch Zeit, sich seine eigenen Gedanken zu machen.
Die richtige Konsens-Methode wählen
Jede der beschriebenen Methoden hat seine Stärken und Schwächen. Ein guter agiler Moderator nutzt sie in unterschiedlichen Situationen. Es gibt nicht den einen Ansatz, der für alle Entscheidungen und alle Teams der richtige ist.
Wenn Sie einige Optionen aus einer größeren Liste auswählen möchten, nutzen Sie Dot Voting.
Wenn eine Entscheidung zwar wichtig ist, es aber noch wichtiger ist, dass alle diese Entscheidung auch wirklich verstehen und damit einverstanden sind, nutzen Sie am besten die 1-2-4-Alle-Methode und ggf. im Anschluss eine der drei anderen Ansätze.
Wenn man nur ein Ja oder ein Nein zu einer bestimmten Entscheidung benötigt, ist die Daumen-Methode gut geeignet.
Wenn man eine etwas differenziertere Bewertung einer möglichen Entscheidung haben möchte, ist Fists of Five die richtige Wahl.
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