Den richtigen “Agile Coach” finden

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Sohrab Salimi
4 Min. Lesezeit

In den Jahren 2004 und 2005 gingen immer mehr Teams zu agilen Methoden über und oft benötigten sie als erstes natürlich Beratung und Training. In vielen Fällen musste ich aber leider nach den Trainings zu den Unternehmen kommen und das Durcheinander aufräumen, das die Trainer hinterlassen hatten. Fälschlicherweise habe ich damals angenommen, dass dies nur solange ein Thema sei, wie die neuen agilen Teams – besonders in Unternehmen, die Standardsoftware entwickeln – noch Erfahrung sammeln mussten. Leider ist das Problem schlechter Trainer und Coaches noch nicht verschwunden. Obwohl sich schon viele Firmen für gute Trainer entschieden haben, sind sie meiner Meinung nach immer noch eher die Ausnahme.

Wie bei vielen anderen Dingen liegt es natürlich am Kunden, den besten Trainer für sich zu finden. Wenn ein Team aber Training benötigt, ist es sehr wahrscheinlich, dass diejenigen, die diese Entscheidung treffen müssen, noch keine Erfahrung damit haben. Die Intention hinter diesem Artikel ist daher, Produktunternehmen zu helfen, die richtigen Trainer und Coaches für agile Methoden zu finden.

Verschiedene Faktoren für die Suche nach dem richtigen Agile Coach

1. In den meisten Fällen wird Software noch für interne Zwecke (IT) oder speziell für einen bestimmten Kunden entwickelt. Daher kommen viele agile Trainer einfach noch nicht gut mit Unternehmen klar, in denen Lösungen für den Massenmarkt entwickelt werden. Natürlich will man auch nicht das Unternehmen sein, an dem ein solcher Trainer übt. Darum ist es wichtig, vorab zu wissen, ob der potentielle Trainer den Unterschied zwischen IT (intern), kundenspezifischer Softwareentwicklung und Standardsoftwareentwicklung versteht.

2. Bei Unternehmen, die Standardsoftware entwickeln, gibt es ganz andere Rollen als bei anderen Arten von Software. Ein potentieller Trainer muss die Rolle des Produktmanagers, des Produktmarketings, des User Experience Teams, der Interaction Designer, Visual Designer und User Researcher verstehen.

3. Der Trainer muss wissen, wie die Zusammenarbeit von Produktmanagern und UX Designern mit dem agilen Entwicklungsteam aussieht. Der Trainer sollte persönliche Erfahrung mit Dual-Track Agile (zweigleisige Entwicklung) haben – also mit Product Discovery und Product Delivery.

4. In einem Softwareunternehmen muss man in gewissen Fällen in der Lage sein, konkrete Zusagen zu treffen und verlässliche Angaben zum Fertigstellungszeitpunkt machen zu können. Dies muss mit Integrität geschehen und man muss sich bewusst sein, dass konventionelle Roadmaps gerne mit Items übersät sind, die dem Kunden nicht wirklich etwas bringen. Der Trainer muss also verstehen, wie man solche Zusagen trifft und wie sie in einem Produktteam gemanagt werden.

5. In Entwicklungsteams für Standardsoftware ist die Produktvision extrem wichtig, um einen Kontext zu schaffen und das Team zu motivieren. Ein Trainer für agile Methoden muss also die Schlüsselrolle der Produktvision und der Strategie verstehen und auch wissen, wie das mit Product Discovery und Delivery zusammenpasst.

6. Bei interner Software denken viele Trainer für agile Methoden, sie seien recht schnell, wenn sie jeden zweiwöchigen Sprint ein paar Ideen ausprobieren. Bei Standardsoftware würde dies jedoch als ungeheuer langsam angesehen. Stellen Sie sicher, dass Ihr Trainer begriffen hat, dass Schnelligkeit für Innovationen extrem wichtig ist und wie Dual-Track Agile uns hilft, die meisten Ideen zu validieren ohne dafür Code schreiben zu müssen.

7. In Organisationen für Standardsoftware hat man einen fortlaufenden Zyklus, in dem man etwas baut (Prototypen und Produktion), die Ergebnisse misst, daraus lernt und den Vorgang dann wiederholt. Es ist sehr wichtig, dass der Trainer versteht, welche Bedeutung dieser Zyklus sowie Prototypen, Analysen und A/B-Tests für das Treffen von Entscheidungen, das Testen und kontinuierliches Lernen haben.

8. Kulturell gesehen gibt es einen großen Unterschied zwischen den Entwicklern in einer IT-Organisation und denen in einer Organisation für Standardsoftware. Der agile Trainer muss wissen, dass sich das Level an Erfahrung und Fähigkeiten der Entwickler stark unterscheidet und die Vorgehensweise dementsprechend angepasst werden muss. Viele der Entwickler haben wesentlich mehr Erfahrung mit dem Entwickeln echter Produkte als die meisten Trainer. Daher können Trainer mit der falschen Einstellung schnell daran scheitern, sich den Respekt des Teams zu verdienen.

9. Ein weiterer großer Unterschied besteht darin, dass ein Team in einer IT-Organisation die Bedürfnisse des Unternehmens erfüllen muss. Das Produktteam in einer Organisation für Standardsoftware ist dafür da, Lösungen für die Kunden zu entwickeln und zwar auf eine Weise, die für das Unternehmen realisierbar und rentabel ist. Das ist kein unbedeutender Unterschied. Der Trainer muss begreifen, dass dies keine Dienstleistungsorganisation ist, die darauf ausgerichtet ist, die Bedürfnisse des Unternehmens zu erfüllen.

10. Letztenendes ist es entscheidend, dass der Trainer nicht nur Unternehmen für Standardsoftware versteht, sondern auch die Anforderungen und Methoden von unternehmenskritischen SaaS (Software as a Service) Dienstleistungen. Themen wie Skalierung, Zuverlässigkeit, Fehlertoleranz, Leistung, Überwachung und Kontrolle, Testautomatisierung und technische Schulden sind nicht länger optional sondern ein absolutes Muss. Des Weiteren ist bei der Entwicklung von Standardsoftware kein Platz für eine dogmatische und blinde Einhaltung von Prozessen. Manche Leute verwechseln bei den agilen Methoden gerne die Mittel zur Erreichung eines Ziels mit dem Ziel selbst. Das einzige Ziel, auf das es wirklich ankommt, ist ein erfolgreiches Produkt.

Fazit

Wenn Sie einen Trainer oder Coach für agile Methoden aussuchen, sollten Sie daran denken, dass die Firma, für die er arbeitet, oft nicht so ausschlaggebend ist wie die jeweilige Person selbst. Überprüfen Sie also den potentiellen Kandidaten und finden Sie heraus, ob derjenige auch über die Erfahrung mit Firmen für Standardsoftware verfügt, die Sie benötigen.

Generell kann man sagen, dass ein Trainer zu Ihnen kommt, Ihnen die Theorie erklärt und dann wieder weg ist. Ein Coach hingegen wendet die Methoden tatsächlich mit Ihrem Team in Ihrem einzigartigen Umfeld an.

Dieser Text stammt aus dem Blog von Marty Cagan und wurde von uns ins Deutsche übersetzt.

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