Eine einfache Methode für Retrospektiven
Es gibt wahrscheinlich genauso viele Möglichkeiten, eine Retrospektive durchzuführen, wie es Teams gibt, die mit Retrospektiven arbeiten. Ich möchte heute meine Lieblingsmethode beschreiben, insbesondere weil es ein Ansatz ist, der sich bewährt hat und seit Jahren für sehr viele Scrum Teams gut funktioniert.
Anfangen, aufhören, weitermachen
Am liebsten führe ich eine Sprint Retrospektive durch, indem ich die Teammitglieder frage, mit welchen Dingen sie gerne anfangen, aufhören und weitermachen würden. Diese Art von Meeting bezeichnet man mittlerweile als „anfangen, aufhören, weitermachen”-Meeting.
Die Dinge, mit denen ein Team anfangen möchte, sind solche, die zum Prozess hinzugefügt werden sollen. Hier einige Beispiele:
Den Kunden die Software frühzeitig präsentieren.
Akzeptanztests früh und gemeinsam mit den Kunden spezifizieren.
Code-Inspektionen durchführen.
Pünktlich zu den Daily Standups erscheinen.
Erst eine Story fertigstellen, bevor man mit der nächsten beginnt.
Aufhören sollte das Team mit Dingen, die die Teammitglieder als ineffizient oder als Zeitverschwendung ansehen. Beispiele aus vergangenen Retrospektiven sind:
Code einpflegen, ohne sicher zu sein, dass alle Tests erfolgreich sein werden.
Mehr als 15 Minuten für die Daily Scrum Meetings benötigen.
Product Backlog Refinement Meetings auslassen, wenn wir am Ende des Sprints hinterherhängen.
Zu den Dingen, die ein Team weitermachen sollte, gehört alles, worauf das Team weiterhin Wert legen möchte, was aber bisher noch nicht zur Gewohnheit geworden ist. Jeder Punkt der beiden Listen „Anfangen” und „Aufhören” kann also theoretisch in diese Liste übernommen werden und dort für ein paar Sprints verbleiben.
Letzten Endes werden diese Punkte dann wieder aus der „Weitermachen”-Liste entfernt, sobald sie zur Gewohnheit geworden sind. Andernfalls würde die Liste viel zu lang werden.
Verschiedene Ansätze für die Ideenfindung
Ein Scrum Master kann die Teammitglieder auf verschiedenste Weise fragen, womit sie anfangen, aufhören und weitermachen wollen. Am einfachsten ist es, zu sagen: „Sagt einfach, was euch einfällt”. Die Teammitglieder dürfen ihre Ideen dann ganz frei und so wie sie ihnen in den Kopf kommen nennen, egal in welche der drei Listen sie gehören. Das ist meine Standardmethode.
Allerdings kann das nach einigen Sprints etwas eintönig werden. Also bringe ich ab und zu etwas Schwung in die Sache, indem ich durch den Raum gehe und jeden bitte, mir einen Punkt zu nennen. Manchmal mache ich zwei Durchgänge, bevor zusätzliche Ideen aufgenommen werden.
Andere Male möchte ich mich lieber auf eine bestimmte der drei Kategorien konzentrieren; oft sind das die Dinge, mit denen das Team aufhören sollte. Dann fordere ich die Teammitglieder dazu auf, mir lediglich die Sachen zu nennen, mit denen sie aufhören möchten. Oder ich kombiniere die verschiedenen Ansätze und bitte jeden persönlich, eine Sache zu identifizieren, die im aktuellen Prozess des Teams gestoppt werden sollte.
Es gibt so viele Möglichkeiten, die Ideenfindung in solchen Retrospektiven abwechslungsreicher zu gestalten, dass es ziemlich lange dauert, bis sie langweilig oder monoton werden.
Über die Punkte abstimmen
Nachdem genügend Ideen gesammelt wurden, sollen die Teammitglieder über den wichtigsten Punkt bzw. die wichtigsten Punkte abstimmen. Häufig ist es recht offensichtlich, wann es an der Zeit ist, abzustimmen, nämlich wenn die Kreativität nachlässt und kaum noch neue Ideen kommen.
Der Scrum Master kann dann entweder die einzelnen Teammitglieder bitten, lediglich die für sie wichtigste Idee zu wählen oder aber mehrere Ideen. Welchen Ansatz der Scrum Master dafür nutzen möchte, bleibt ihm selbst überlassen. Beispielsweise kann man jedem Teammitglied drei Stimmen geben, die sie nach Belieben verteilen können (das können auch alle drei Stimmen für den gleichen Punkt sein).
Ich finde dieses Mehrfachstimmrecht in Retrospektiven gut. Die meisten Punkte, die in einer Retrospektive aufkommen, nehmen nämlich nicht wirklich viel Zeit in Anspruch; sie beziehen sich eher auf bestimmte Verhaltensweisen. Ein Beispiel aus den oben genannten Punkten wäre etwa, pünktlich zu den Daily Standups zu erscheinen. Das nimmt keinerlei Zeit in Anspruch. Im Gegenteil – man spart sogar Zeit.
Eine Mehrfachwahl erlaubt dem Team, gleichzeitig an diesem Verhalten sowie einigen anderen Punkten zu arbeiten. Grundsätzlich würde ich jedoch nicht mehr als drei Punkte auf einmal nehmen. Auch wenn sie keine (oder nur sehr wenig) Zeit in Anspruch nehmen, können die einzelnen Punkte an Bedeutung verlieren, wenn man sich zu vielen davon gleichzeitig widmet.
Zusätzlich zum Auswählen neuer Punkte, die es zu verfolgen gilt, soll auch darüber gesprochen werden, welche Punkte der „Weitermachen”-Liste bereits erfüllt wurden, nicht länger benötigt werden oder aus anderen Gründen von der Liste gestrichen werden können.
Die nächste Retrospektive
Ich empfehle, dass der Scrum Master die Liste der Ideen aus der letzten Retrospektive wieder zur nächsten Retrospektive mitbringt; das bezieht sich sowohl auf die Dinge, an denen gearbeitet werden soll als auch auf die, an denen nicht gearbeitet werden soll. Das wird dabei helfen, die Diskussion für die nächste Retrospektive in Gang zu bringen.
Meistens schreibe ich die Punkte einfach auf ein großes Blatt Papier und hänge es ohne großes Tamtam oder Diskussionen an die Wand. Es geht lediglich darum, dass die einzelnen Punkte da sind, wenn das Team sie braucht oder sie wieder aufgreifen möchte. Dann beginne ich mit einer neuen „Anfangen, aufhören, weitermachen”-Diskussion.
Vorteile dieser Methode
Ich finde, dass dies eine sehr schnelle, einfache und ungefährliche Art ist, eine Retrospektive abzuhalten, die zudem auch noch gut funktioniert. Ein solches Meeting ist sehr handlungsorientiert. Man verbringt keine Zeit damit, sich auf Gefühle zu konzentrieren. Die Teammitglieder werden nicht gefragt, wie sie sich während des Sprints gefühlt haben – waren sie zufrieden oder traurig, haben sie sich gut gefühlt oder eher mulmig?
Jeder identifizierte Punkt wird direkt zu einer Verhaltensänderung führen. Das Team wird entweder mit etwas anfangen, aufhören oder es so lange weitermachen, bis es zur Gewohnheit wird.
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Leute nun sagen werden, dass es wichtig ist, erst über die Gefühle der Teammitglieder zu sprechen oder dass wir nicht wissen können, wie wir handeln sollen, ehe wir nicht zuerst auf die Gefühle der Leute eingegangen sind. Tun Sie das ruhig. In einigen Fällen kann das sinnvoll sein. In vielen anderen Situationen können wir aber auch direkt identifizieren, was wir machen sollten (z. B. früher mit dem Testen beginnen).
Das ist der große Pluspunkt des „Anfangen, aufhören, weitermachen”-Ansatzes für Sprint Retrospektiven.