Wie Scrum das beste Team der Welt hervorbrachte

Die Scrum-Methodologie hat das beste Team der Welt hervorgebracht und die Erfolgsfaktoren dieses Teams sind reproduzierbar, was bedeutet, dass Ihr Team das neue beste Team der Welt werden könnte. (Klingt gut, oder?)
Das beste Team der Welt durch Scrum
Das Team, von dem ich spreche, sind die All Blacks. Sie haben erst kürzlich zum wiederholten Male ihren Titel als Rugby-Weltmeister gesichert und sind somit die erste Mannschaft, die das in den fast 30 Jahren seit Beginn der Rugby-Weltmeisterschaften geschafft hat. Sollten Sie die All Blacks nicht kennen: Die Mannschaft hat in den letzten vier Jahren nur drei von 54 Spielen verloren und im Jahr 2011 das letzte Mal aufeinanderfolgende Spiele verloren. Tatsächlich haben die All Blacks seit 1994 kein Heimspiel mehr verloren – das war noch bevor einige der heutigen Spieler geboren wurden. Dabei kommt der Kapitän der Mannschaft aus dem kleinen Ort Kurow in Neuseeland (339 Einwohner), der Coach ist ein ehemaliger Polizist und die Spieler haben alle weder einen MBA-Abschluss noch sind sie aufgrund von Beziehungen in das Team gekommen. Außerdem kommt das Team aus einem Land mit einer wesentlich geringeren Bevölkerungszahl und einem niedrigeren Bruttoinlandsprodukt als seine engsten Rivalen. Das Land ist also weder das größte noch das reichste.
Wie kann also ein Land, das mehr Schafe als Einwohner hat, ein Team hervorbringen, das als das beste der ganzen Welt gilt?

Was hat das mit Scrum zu tun?
Und warum stellen wir einen Vergleich mit einer Sportmannschaft an, wenn die meisten von uns doch in Scrum Teams in urbanen Bürogebäuden arbeiten und eher Fristen hinterherrennen als einem Ball? Weil leistungsstarke Teams – egal aus welchem Bereich – viele Gemeinsamkeiten haben. Es ist ein glücklicher Zufall, dass die All Blacks genau in dem Sport so erfolgreich sind, der der Scrum-Methodologie für die Produktentwicklung ihren Namen gegeben hat. (Für diejenigen, die sich noch nicht so gut damit auskennen: In den 1980er Jahren fanden zwei Japaner, die leistungsstarke Teams am Arbeitsplatz erforschten, dass der Begriff „Scrum” („Gedränge” im Rugby) sehr gut zu den Merkmalen hoher Leistungsfähigkeit im Hinblick auf Schnelligkeit, Flexibilität und Umgang mit Ungewissheit passen würde.)
Schauen wir uns einmal einige Merkmale des weltbesten Teams an, um besser verstehen zu können, wie auch unsere eigenen Teams solch großartige Leistungen bringen können. Angesichts der Tatsache, dass wir den Rugbysport in Neuseeland/Aotearoa als Metapher für besonders starke Leistungen nehmen, werde ich Ihren Wortschatz um ein paar neue Begriffe erweitern.
3 Prinzipien, die Teams erfolgreich machen:
- Prinzip 1: Sei deine Rolle
- Prinzip 2: Sei ein Multitalent
- Prinzip 3: Eine gemeinsame Vision
Sei deine Rolle
Mitglieder in besonders leistungsfähigen Teams kennen ihre Rollen in- und auswendig. Die eigene Rolle zu kennen bedeutet aber nicht nur, sich an den Stichpunkten in der Stellenbeschreibung zu orientieren. Stattdessen bedeutet es, wirklich zu wissen, wie die eigenen Fähigkeiten die anderen Teammitglieder beeinflussen und wie man diese Fähigkeiten in der Gruppe nutzen kann, um erfolgreich zu sein.
Für den Kapitän der All Blacks, Richie McCaw, der eine beeindruckende Erfolgsquote von 90 Prozent in seinen 140 Länderspielen hat, bedeutete dies als Teenager, sich mit seinem Onkel zusammenzusetzen und aufzuschreiben, was er tun musste, um ein „G.A.B.” zu werden – ein Great All Black. Diesen Zettel klebte er sich an seinen Badezimmerspiegel, so dass er ihn jeden Tag sehen konnte. In anderen Worten: visuelles Management.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Was macht in Ihrem Team den Unterschied zwischen einem Entwickler und einem großartigen Entwickler aus oder zwischen einem Product Owner und einem großartigen Product Owner? Wie sieht es mit Ihrer eigenen Rolle als Scrum Master aus? Sicherlich sind es Merkmale, die nicht unbedingt in Ihrer Stellenbeschreibung aufgelistet sind.
Seine Rolle zu kennen, bedeutet, sich an die Grundlagen zu halten – auch wenn die Dinge kompliziert werden – und seinem Team zu vertrauen, das Gleiche zu tun. Wenn man beispielsweise mit 8-7 in einem spannenden Finale gegen seinen Angstgegner (Frankreich) führt, sollte man sich darauf konzentrieren, die Grundlagen solide auszuführen … immer und immer wieder. Nichts Aufwendiges, getreu der Devise: „Keep it simple, stupid” (halte es einfach). Dies ist der Punkt, an dem sich Ihre 10.000 Stunden gezielten Trainings auszahlen werden. Einige ehemalige und aktuelle Mitglieder der All Blacks können schnell genug sprinten, um in den ersten Runden des 10-Meter-Laufs bei Olympia starten zu können. Sie haben jahrelanges gezieltes Training hinter sich gebracht, damit sie auch unter Druck effektiv Leistung bringen können. Machen Sie einfach immer weiter die gleichen Übungen, die Sie auch im Training geübt haben. Überspringen Sie weder Ihre Planning Meetings noch Ihre Retrospektiven, nur weil Sie „zu beschäftigt” sind oder es eine Frist gibt, die Sie ja einhalten müssen.
Wenn man seine Rolle verstanden hat, sollte man sie als nächstes stärken, neu definieren und selbst zu dieser Rolle werden. Beispielsweise hat die Nummer 10 der All Blacks, Dan Carter, seine Rolle als Verbindung neu definiert (keine Sorge, technischer wird es nicht). In der japanischen Kampfkunst entspricht das dem Konzept des Shu Ha Ri. Während sich viele andere in dieser Position damit zufrieden geben, durch das Treten des Balls zu punkten, kann Carter so gut funktionsübergreifend außerhalb seiner Rolle spielen, dass er den Ball auch über die Linie tragen kann, anstatt ihn zu einem anderen Spieler zu passen. Wenn man bedenkt, dass mehrere Spieler bei den All Blacks ähnlich funktionsübergreifend spielen können, verschafft das ihnen einen großen Vorteil vor den anderen Teams, deren Spieler nicht über diese Eigenschaft verfügen. Darauf gehen wir im Folgenden etwas genauer ein.
Sei ein Multitalent
Ein multifunktionales Team ist die Grundlage für Scrum, was bedeutet, dass man auf vielen verschiedenen Wegen Arbeit fertigstellen kann. Das ergänzt eher das Prinzip, seine Rolle gut zu kennen, als dass es ihm widerspricht. Ein Rugby-Team besteht aus 15 Spielern, jeder davon mit einer eigenen Rolle. Wichtiger als die jeweilige Rolle eines einzelnen Spielers ist jedoch das übergeordnete Ziel des Teams, den Ball über die sogenannte Mallinie (oder zwischen die Torstangen) zu befördern. Dan Carter, dessen Hauptziel es ist, durch Treten des Balls Punkte zu machen, konnte in internationalen Spielen aber auch mit insgesamt 29 Versuchen Punkte erzielen (vergleichbar mit einem Touchdown), weil er vielseitige Fähigkeiten hat. Im Gegensatz zu vielen seiner Rivalen ist sein Trikot nach einem Spiel genauso dreckig wie die des restlichen Teams.
Diese Leute nennt man im Englischen „T-shaped”, also T-förmig. Im Bezug auf Agile bedeutet das, dass die fundierten technischen Kenntnisse durch eine gewisse Bandbreite an anderen Fähigkeiten ergänzt werden. Das verhindert, dass eine Person zur Problemstelle oder zum Bottleneck wird, wie es im Kultbuch zum Thema Agile, The Phoenix Project, beschrieben ist. Teams in Unternehmen können mit der Zeit auf inkrementelle Art und Weise immer funktionsübergreifender werden, indem sie eine einfache Qualifikationsmatrix erstellen und ein paar Stunden pro Woche der Erweiterung ihrer Fähigkeiten widmen. Nach drei bis sechs Monaten wird das Team messbar stärker und nicht mehr so sehr von einzelnen Individuen abhängig sein.
Ihre Vielseitigkeit als Teammitglied macht Sie für Ihr Unternehmen noch viel wertvoller – was besonders in schwierigen Zeiten von Vorteil ist.
Funktionsübergreifend arbeiten zu können geht mit Vielfalt und Leistungsfähigkeit einher. Die All Blacks sind ohne Zweifel das vielseitigste Team bei der Rugby-Weltmeisterschaft. Daher ist es kein Zufall, dass das Team, während es in den letzten Jahrzehnten vielseitiger geworden ist, auch gleichzeitig mehr Spiele gewonnen hat. Die Spieler haben den unterschiedlichsten kulturellen, religiösen und sprachlichen Hintergrund. In Verbindung mit einer starken Vision entsteht durch diese Vielfalt eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Ideen und Synergien, die es den Teammitgliedern erlauben, authentisch zu sein und sich ins Team einzubringen. Studien haben bewiesen, dass dies zu gesteigerter Kreativität, besseren Entscheidungen und härter arbeitenden Teams führt.
Ihr Scrum Team ist vielleicht vielfältiger, als es Ihnen bewusst ist. An vielen Arbeitsplätzen geht die Menschlichkeit verloren und man konzentriert sich so sehr darauf, seine Arbeit zu erledigen, dass die Leistungsfähigkeit der Teams und die Menschen hinter den Jobtiteln auf der Strecke bleiben. Einige Male pro Jahr in effektive Teambildungsmaßnahmen zu investieren (das muss ja nicht zwingend Augenbinden, Klettertouren und Kumbaya-Liederabende beinhalten), wird sich in den Geschäftszahlen niederschlagen, die Leistung der Teams steigern und erschafft außerdem eine positive Umgebung für die Wissengenerierung und den gegenseitigen Informationsaustausch (auch „ba” genannt; japanisch für „Ort”).
Eine gemeinsame Vision
„Wir sind das beste Team aller Zeiten.” Eine ganz schön gewagte Aussage, was? Aber vielleicht auch nicht. Die All Blacks haben diese Vision geschaffen, noch bevor andere Teams sie „das beste Team der Welt” nannten. Aber egal wie gewagt das auch klingen mag, mit einer schwachen Vision, die Mittelmäßigkeit ausstrahlt – oder überhaupt keiner Vision – wäre es wesentlich schwieriger, die weltbeste Mannschaft zu werden. Es gibt keinen Zweifel daran, was das Team erreichen möchte. Was ist also die Vision Ihres Teams auf der Arbeit?
Wir haben schon darüber gesprochen, dass man seine Rolle „sein” und funktionsübergreifend arbeiten können sollte. Wenn man bedenkt, dass das Team stark durch die Kultur Polynesiens und die der Maori geprägt ist, ist es gar nicht mehr so verwunderlich, dass die All Blacks über ein so gutes Teamwork und eine gemeinsame Vision verfügen. Denn wie heißt es so schön: „There is no “I” in team” (Im Team gibt es kein „Ich”).
Im gleichen Maße wie die japanische Kultur die Lean Prinzipien verkörpert, so sehr stellen die Maori und die polynesische Kultur die Bedeutung des Teams (oder der Familie, einer Gemeinschaft oder einer anderen Art von Gruppe) über die von Einzelpersonen. Im Gegensatz dazu stellen westliche Kulturen häufig einzelne Personen über die Gruppe (z. B. bei individuellen Leistungsvorgaben), was zwar zu einer lokalen Optimierung führt, die Gesamtleistung eines Teams aber schwächt. Die Teamleistung als Erfolgsfaktor zu sehen, hat starke Auswirkungen darauf, wie ein Team spielt.
Bei Scrum und SAFe wird jeweils ein Sprintziel und eine Produktvision verlangt. Auch bei Ihrer Arbeit sollten Sie das als Grundlage nehmen und eine Vision für Ihr Team erschaffen. Was sind die Werte, Ziele und Ergebnisse des Teams? Auf diese Weise werden Teams gefördert, in denen die einzelnen Mitglieder vereint, fokussiert und aufeinander abgestimmt sind, statt Gruppen von Leuten, die irgendwie zufällig zusammenarbeiten.
Die nächsten Schritte
Einige Spieler der All Blacks werden wohl in den nächsten Monaten in Rente gehen. Das Gute daran ist, dass dann eventuell ein anderes Team die Chance bekommt, das beste Team der Welt zu werden. Vielleicht ist es ein Team aus Ihrem Unternehmen. Wie können Sie die Leistung Ihres Teams so steigern, dass es die gleichen Merkmale aufweist wie das beste Team der Welt?
Helfen Sie Ihren Teammitgliedern dabei, nicht mehr nur ihre Rolle auszuführen, sondern sie zu sein.
Machen Sie funktionsübergreifende und T-förmige Teammitglieder durch gezieltes Training zum Standard.
Erschaffen Sie mit Ihrem Team eine überzeugende Zukunftsvision, die zu besseren Leistungen anregt.
In der Sprache der Maori gibt es einen Satz, der all das sehr präzise zusammenfasst:
Ko ahau te kapa, ko te kapa ahau – Ich bin das Team und das Team bin ich.
Der folgende Text stammt aus dem Blog von All About Agile und wurde von uns ins Deutsche übersetzt.
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